Pallotta, nach Ihnen ist jetzt Thohir aus Indonesien als Club-Besitzer in die Serie A gekommen. Ist das Made in Italy am Ende?
Als wir vor drei Jahren beschlossen haben in einen Fussball-Club zu investieren, war die Roma die einzige Möglichkeit. Im Sinne, dass die Stadt einen Namen und ein Image hatte, die in der ganzen Welt bekannt sind. Das was man einen „Global Brand“ nennt, sehr attraktiv. Die anderen Vereine waren entweder in den Händen eines starken Familienunternehmens wie Juventus, Inter, Napoli, Fiorentina… oder es fehlte ihnen an internationalem Appeal. Wenn jetzt Tohir kommt muss man nicht nach Enteignung schreien.
Andrea Agnelli sagt, dass die italienische Meisterschaft keine ökonomische Kraft mehr hat…
Die Tatsache, dass ausländisches Kapital kommt, wie in England, ist kein Nachteil oder Schwäche des Systems, sondern eine Chance, die es zu nutzen gilt. Investitionen anziehen ist nie falsch. Es stimmt aber schon, der italienische Fussball zahlt nicht mehr so viel wie früher und hat an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen Ländern verloren. Man hat sich zurückgelehnt, sich zufrieden gegeben, sich zu sehr im Spiegel angeguckt, mehr lokal als global. Und so langsam langsam ist er gestorben. Italien war jahrelang ganz oben, aber anstatt sich zu erneuern, zu lernen, zu investieren, hat man nachgelassen. Es fehlt der Wille ein System zu schaffen, Partikularinteressen gewinnen, wir (die USA, Anm.d.R.) waren als Nation viel früher geeint als ihr. Schaut mal was Grossbritannien gemacht hat, um den Kampf gegen die Gewalt zu gewinnen, und Deutschland, das in fünf Jahren Stadien, System und den Fussball revolutioniert hat. Sie haben gearbeitet, verändert und an die Erneuerung geglaubt.
Haben Sie Zweifel im falschen Land investiert zu haben?
Ich beobachte und stelle fest. Wenn ich an den Tagen der Heimspiele nach Rom komme sehe ich lange Schlangen an den Ticketschaltern und es regt mich auf: Die Menschen wollen bei uns etwas erwerben und wir legen ihnen Steine in den Weg? Da muss man schon sadistisch veranlagt sein, anstatt den Ticketkauf so einfach und schnell wie möglich zu machen, gibt es einen Spiessrutenlauf. Warum muss der Zugang zum Stadion so kompliziert sein?
Gehen sie auch mal in Rom umher?
Natürlich. Vor allem spät in der Nacht. Ich gehe in den Vierteln umher, mir gefällt es in Trastevere, in Testaccio und in San Lorenzo, in der Nähe der Universität, spazieren zu gehen. Ich bin auch gerade dabei, mir in Rom ein Haus zu kaufen. Dort treffe ich auch immer wieder Manschen: Ein junger Mann hat mich mal angeschrien, ich habe zu ihm gesagt: Beruhige dich, erkläre mir, du brauchst mich nicht zu attackieren, sag‘ mir deinen Standpunkt, aber ohne zu schreien. Ich habe ihm auch meine E-Mail-Adresse gegeben, er hat mir dann in einer ganz normalen Art geschrieben. Mir schreiben auch viele Italiener von der Westküste, die in die Silicon Valley emigriert sind, sie mussten weit von zu Hause weg, um ihre Qualitäten anerkannt zu sehen. Und das finde ich sehr schade, dass sie in Italien, ein Land voller Erfindergeist und Talent, keinen Platz finden.
Kann man mit Fussball Geld verdienen? Im Sommer war eure Bilanz +32.4 Mio. Euro.
Wir haben Strootman geholt, den Kapitän der niederländischen Nationalmannschaft, Gervinho wurde in Lille von Garcia trainiert, 28 Tore in 2 Jahren, Ljajic ist ein Talent. Ich denke, dass Sport und Business einher gehen können. Es ist nicht irrational es zu versuchen. Ein Club kann mit Seriosität, Disziplin und Kenntnis des Marktes gemanaged werden.
Auch ohne jedes Jahr die besten Spieler zu verkaufen?
Ja. Falls sie sich auf die Veräusserungen von Lamela, Marquinhos und Osvaldo beziehen: Wir haben uns dabei etwas gedacht. Es scheint jetzt als habe die Roma nur Glück gehabt, aber wir haben daran gearbeitet. Wir wollten ein solides Mittelfeld, ein starkes Rückgrad. Menschlich tut es mir um Osvaldo leid, der aufgrund seines Charakters vielleicht als ein wenig verrückt erscheint. Er ist ein sensibler, netter, oft misverstandener Junge. So wie ich auch mit De Rossi litt, ich fragte mich, wie kann es sein, dass einer, der in der Nationalmannschaft spielt, sich schwer tut einen Platz in der Mannschaft zu finden? Und Pjanic war zu halten. Als die Mannschaft in die USA gekommen ist habe ich eine eingeschworene Gruppe erlebt, bereit sich gegenseitig zu helfen, glücklich zusammen zu sein. Letztes Jahr war die Mannschaft hingegen zu jung, ohne Leadership, jeder ging seinen eigenen Weg.
Und sie?
Ich habe vor Zorn einige Fernseher zertrümmert. Wenn ich in Amerika bin verfolge ich die Spiele wie ein Fanatiker, ich ziehe mir ein Roma-Trikot an und treffe mich mit ein paar guten Freunden. Ich habe eine schlechte Eigenschaft: Ich bin jähzornig. Ich habe Basketball gespielt und es gefällt mir nicht zu verlieren: Man kann die Bilanzen in Ordnung haben, wenn man aber nicht gewinnt kann man keine Legende aufbauen.
Aber sowohl die Washington Redskins und die Dallas Cowboys gewinnen seit Ewigkeiten nicht mehr…
Aber sie haben Wurzeln, ein grosses Einzugsgebiet, starkes Merchandising, TV-Gelder, Audience, historische Rivalitäten. Wenn die Frage ist: Verdienen sie lieber als zu gewinnen? Dann antworte ich mit „nein“. Aber ein Scudetto muss nicht unbedingt verrückte Verpflichtungen und schlechte Bilanzen bedeuten. Ausserdem wird der italienische Fussball im Ausland verscherbelt, so kann es nicht weitergehen, er wird unter Wert verkauft, fünf! mal weniger als der englische Fussball. Die Lega Serie A braucht neues Unternehmertum, man muss sich weiterentwickeln, es wurde zu viel Zeit verloren.
Man spricht von Galliani als neuen Präsidenten…
Ich habe gesagt neue Leute, ein anderes Management, transparenter. In den anderen Meisterschaften – ausser in der englischen – gibt es 2-3 Topclubs, in Italien mindestens doppelt so viele. Andrea Agnelli, mit dem ich mich austausche, hat gute Ideen. Es muss sich vieles ändern: Zum Stadion zu gehen ist ein Kampf, die Familien haben ein Anrecht darauf, im Stadion ein intensives aber ruhiges Spektakel zu erleben. Ich habe Alex Fergusons Buch gelesen, der schönste Teil davon sind die Saufereien mit seinen Gegnern nach den Spielen. Es ist nicht richtig, dass die Clubs für das verantwortungslose Verhalten einer Gruppe von Fans zahlen müssen. Wer Grausamkeiten schreit, sich schlecht verhält, muss für immer aus dem Stadion draussen bleiben. Warum darf so einer wieder ins Stadion?
Buffon sagt, dass die schlechte Erziehung in der Familie beginnt…
Meine Familie lebte im North End, das Little Italy von Boston, niemand stiftete mich oder meine Schwestern an, andere zu beleidigen. Wenn man das tut muss man sich vor Gericht verantworten. Es ist nicht so, dass es in Amerika keinen Rassismus gibt, die schlechten Impulse gibt es überall, aber die Club setzen Grenzen und bieten Lösungen an.
Manchester United hat in den letzten fünf Jahren in 13 verschiedenen Ländern Freundschaftsspiele abgehalten und hat ein Data Base von 32 Millionen Sympathisanten auf der Welt…
Auch wir arbeiten daran die Social Media zu verstärken, wir haben es bereits getan und werden es noch besser machen. Wir haben viele Kontakte, 2 Millionen Followers auf facebook, unsere Plattform funktioniert. Wir werden viele Benefizinitiativen unterstützen. Wir haben eine Tournee verschoben weil Totti verletzt ist und im Ausland wollen sie ihn sehen.
Suchen sie noch Teilhaber?
Wir haben seriöse Investoren, die bereit sind mit einzusteigen, bis Weihnachten wird die Roma auch ihren Trikotsponsor haben und bis ich 60 Jahre alt bin wird das neue Stadion stehen. Vom Staat wollen wir nichts, wir haben das Grundstück und die Partner. Roma braucht es.
Würden sie PlayOffs in die Serie A einführen?
Nein. Es passt schon so, die Meisterschaft ist lang und laugt die Spieler aus.
Sind sie für den Einsatz von Technologie im Fussball?
Nein. Das Warten auf ein Urteil würde das Spiel zu sehr zerstückeln und die Spannungen erhöhen. Ich bin aber dafür, dass man die Technologie benutzt, um den Schiedsrichter zu bewerten. Wenn er wichtige Entscheidungen falsch getroffen hat muss man einsehen, dass er vielleicht nicht auf der Höhe ist.
Garcia schien ein Risiko zu sein…
Wir hatten ihn von Beginn an im Kopf, nur war er nicht der erste auf der Liste. Ich wollte schon immer einen ausländischen Trainer, der sich mehr mit der Welt auseinandersetzt als mit Italien. Ich wollte jemanden, der frisch ist, der kulturell wenig in einem alten System verwickelt ist. Rudi hat mich überzeugt und hat sich in einem 20minütigem Gespräch erklärt. Er hat mir gesagt was er will und in welchem Teil der Mannschaft. Auch meine Mitarbeiter im Verein waren fantastisch.
Ihre Interessen ausserhalb des Fussballs?
Ich habe viele Passionen. Kunst und Musik. Ich bin mit den englischen Rockbands gross geworden: Beatles, Stones, Clash. Und ich habe nie mehr aufgehört. Ich habe 8 iPods auf denen ich 8.000 Songs gespeichert habe.
…Und einen traumhaften Weinkeller…
Ich bin ein Weinsammler. Nicht wegen des Geldes, sondern für das Vegnügen ein paar aussergewöhnliche Flaschen mit Freunden zu öffnen. Mir gefällt es zu teilen. Ich habe Garcia in den Keller gebracht, der als Franzose genau wusste wo er zuzuschlagen hatte und der gut ausgewählt hat. Aber jetzt bin ich eher zum Bourbon-Typ geworden.
Kann sich Italien verändern?
Ich war an dem Tag in Florenz, als im Jahr 1993 in der Via dei Georgofili das Attentat verübt wurde, ich hatte gerade die Uffizien gesehen und war Richtung Paris unterwegs. Wo ich dann im TV die grosse öffentliche Kundgebung gegen die Mafia gesehen habe, ein Zeichen, dass sich die Stadt nicht unterdrücken lässt. So ändert man etwas, alle zusammen.
Quelle: repubblica.it
[…] 18/11/2013 Roma-Präsident James Pallotta gibt der Tageszeitung „La Repubblica“ ein langes Interview. […]